
Jörmungandrs Schatten (Teil1), Buch Wandelwelten
In Erinnerung einer dunklen Zeit.
Als das Licht wieder anfing, hell zu leuchten.
Auszug aus Jörmungandrs Schatten. (Feriz) „Hast du je von Telfviyn Drós gehört? Löwenkostüm? Schlangengürtel? Vielleicht habe ich etwas verwechselt … eine Wolkenstadt im Eis passt nicht so gut zu Schlangen, Kühen und Löwen …“ – „Ähm. Schon die Kuh irritiert reichlich. Aber das ist deine Geschichte … ich habe mir meine eigenen zusammengereimt …“ – (Feriz) „Du kennst ihn also nicht?“ – Ich schüttle ergeben mit dem Kopf. Bis mir wiederum einfällt, dass ich ja wenigstens dazu »laut« denken muss … „Nein. Kenne ich nicht.“ – Gedanklich tiefes Schweigen … (Ich) „Im Zusammenhang mit Thirnanugg, der mystifizierten Insel der ewigen Jugend und Weisheit mitten in den Untiefen des Atlantik, habe ich von einer Dej Drós gehört. Die Materna aller Welten. Somit wohl unsere große Mutter. Wie sie in Urreligionen oft vorkommt … vielleicht stammen diese Geschichtchen um Mithras aus derselben philosophischen Quelle?“ – (Feriz verwundert) „Du vermutest nur?“ – Jetzt muss ich mich doch einmal etwas verlegen räuspern … „Weil mich Frauen nicht sonderlich interessieren. Selbst nicht, wenn sie die mythische Mutterrolle übernehmen. Das ist einfach nicht ganz so mein Ding …“ – (Feriz) „Und ich dachte immer, nur wir Gowinnyjen sind derart frauenfeindlich …“ – Upps! Hüstelnd … „Frauenfeindlich bin ich nicht! Ganz sicher nicht … Meine kleine Schwester in deinem Alter, noch reichlich winzig, die mochte ich aufrichtig. Selbst meine Mutter, ließ sie mich in Frieden … nur das ganze Tamtam, was Weibsbilder immerzu benötigen, nervt mich immens. Somit könnte ich mir gut meine Welt ohne Frauenanteil vorstellen. Aber mein väterlicher Freund, hinter mir, würde etwas vermissen … also werden wir die ein oder andere Mutter bei uns aufnehmen …“ – (Feriz) „Eine Tote, die Mutter werden soll? Wie soll das denn bitteschön vonstattengehen?“ – (Ich) „Ich denke da mehr an Lebende. Wir benötigen welche unter uns, die altern, sich verändern. Sonst werden wir zu Schreckgespenstern und schon in 30 Jahren flüchtet man vor uns und wir verkaufen gar nichts mehr. Müssen am Ende auf Ackerbau mit Viehzucht umsatteln, ergänzt um Jagdbetrieb, weil wir von niemandem, etwas zu essen kaufen können, über keinerlei Vermögen verfügen … wir kommen nicht drumherum: Lebende zwischen uns einzusortieren und sie letztlich nach außen vorzustrecken. Wir Toten bilden nur den stillen Hintergrund. Der Fäden verknotet, andere, wie Marionetten, tanzen lässt. Handelspartner, wie lebendige Mitstreiter …“ – (Feriz) „Du denkst über vieles gründlich nach …“ – Anerkennend. Von einem Sechsjährigen bekomme ich ein Lob ausgesprochen, weil ich nachgedacht habe. Nicht übel. So grotesk wie sich das anfühlt … Ja. Dass Gowinnyjen gewöhnungsbedürftig sein würden, stand eh klar. Seit ich das erste Mal von ihnen hörte. Von ihren mystischen Wandelwelten. Die will mir Feriz aber keinesfalls zeigen. Immerzu – schleichen meine Gedanken in diese Richtung –werden sie abgelenkt … Loki musste sich mit einem Löwenkostüm vor mir aufstellen! Sowas will ich meinem Heldenepos nicht noch einmal zumuten … Telfviyn Drós, der kann gerne in dem Aufzug Stiere zu Hunden umerziehen. Kein Problem. Aber, Loki bleibt der schwarze Lord im Eis. Wie ich ihn seit vielen Jahren vor meinem inneren Auge sehe. Nichts anderes wäre akzeptabel …

So hat ein jeder seine Vorstellung darum, was sein kann und was muss. El Bachir (»der Überbringer guter Nachrichten«) ist der Nächste, der sich findet und sich selbstlos in ihren kleinen Familienbetrieb einfügt. Er beobachtet Feriz in Tanger, wie er im Judenviertel umherstreift, bei einem Geldverleiher das Haus betritt und zeitnah verlässt. Er spürt, dass dieser Junge aus seiner Welt hier nicht hingehört. Kein Kind eines Yollivers ist. Als Lenäer hat er hier nochmals weniger zu suchen. Die halten sich von Menschenkolonien fern. Außerdem nimmt er seinen Geruch wahr und die Tatsache, dass einige ihn übersehen. Oder etwa alle? Jedenfalls reagieren manche und andere versuchen geradezu durch ihn durchzulaufen. Ein grotesker Anblick … weiß man vor allem, wie sehr Menschen seine Art fürchten. Jetzt egal, in welcher Altersgruppe oder Körperhöhe. Ein vielleicht Sechsjähriger, wirkt für ihre Augen eh wie ein Zwölf- bis Dreizehnjähriger und dass er wehrfähig ist und kräftiger, geschmeidiger in seinen Bewegungen als sie selbst, dürfte ebenfalls jedem klar sein. Jedem, der um die Welt der Düsterwinde weiß. Nur von ihr gehört hat. Jeder reagiert seit gut 80 Jahren solchermaßen auf ihn, der äußerlich betrachtet, auch nur wie ein vielleicht Siebzehnjähriger wirkt. Maximal neunzehn. Weit davon entfernt, dass man ihn in Midgard schon sonderlich ernst nehmen wollte. Aber allein seine Körpergröße, mit über zwei Metern und damit erst gute 30 bis 60 Zentimeter oberhalb der üblichen Köpfe endend, reicht für gewöhnlich aus. Ohne, dass sie die mystischen, pechschwarzen Augen erblicken müssen, diese besonders dichten, edel glänzenden Kringellöckchen bemerken und weiteren haarigen Details, die ihn als Schwarzbären klassifizieren. Wie genauso den Jungen, da drüben. Den manche geradezu über den Haufen zu rennen versuchen, weil sie vor ihm eiligst entweichen … da kann man wirklich nur kopfschüttelnd hinterherschauen und -laufen. Das gab es einfach noch nie und das duldet sein Ego auch gar nicht. Dass einer, der Seinen, so wenig Beachtung findet. Letztlich läuft er ihm im flinken Zickzackkurs hinterher, immer amüsierter, erfreuter darüber, was für nette Finten sich der Kleine ausdenkt, dem Großen, im Nacken, entkommen zu können. Schon um seiner Ehre willen, darf er ihn nicht entwischen lassen. Was würde der Zwerg künftig von Yollivern denken, ließe er sich so leicht abschütteln?
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