
Jörmungandrs Schatten (Teil1), Buch Wandelwelten
In Erinnerung einer dunklen Zeit.
Als das Licht wieder anfing, hell zu leuchten.
Auszug aus Jörmungandrs Schatten. (Aldebaran erzählt) Oh, ich bin so unverzeihlich arrogant! – Was Salim mir alles vom Detteljoch zuträgt, klingt so spannend für meine ausgeprägt-kindlich-naive Abenteuerlust, dass ich es kaum mehr abwarten kann. Die Fantasie der Schwarzbären scheint wohl gleichwertig konditioniert wie meine eigene und zudem grenzenlos zu sein. So wie ich mir diese Burganlage vorstelle, wie sie wirken muss? – Dort, wo sie liegt, gibt es ausschließlich Flachland und staubtrockenen Wüstensand. Im gesamten Umfeld. Absolut kein einziger Flusslauf, kein saftiges Grün, nicht einmal dorniges Buschwerk. Keine nahe Oase, kein Brunnen, kein tief liegendes Wasserloch, gar nichts, weit und breit. – Sie liegt aber, bezeichnenderweise, eingebettet in einem flacheren, tiefgrünen Mittelgebirge, über zwei höhere Gipfel gezogen, mit einem breiten, steinernen Brückenlauf, mit unendlich hoch aufragenden Stützpfeilern, von der einen Seite zur anderen verbunden. Die Burg selbst, eine Türmchenfestung, mit zahllosen Fensteröffnungen, für freundlichen Lichteinfall und gute Aussicht und zweifarbig-gestrichenen, hölzernen Fensterläden im oberen Segment, weiter unten, die netten Details, solide eisern gehalten, ebenso weinrot und weiß bemalt. Mit stabilen Eisengittern davor, die die Frage aufdrängen, wie man Fensterläden für solchen Fall verschließt? – Salims Schultern zucken. Er kann es nicht sagen. Sache der Dienerschaft. Die kriegen‘s hin. Punkt. Nächstes Thema … ebenso eisern wie stabil, sind weitere Gitter-, Tür- und Torelemente, großzügig im Gemäuer verteilt. Die Eisenschmieden sollten, alleinig dafür, jahrzehntelang emsig geschuftet haben. – Ein, nach unten, gefährlich spitz zulaufendes Fallgitter, krönt diesen epochalen, Eindruck-schindenden Zutrittspunkt – streckt es dir doch, wie ein aufgerissenes Maul, seine blutgetränkten Zinken hungrig entgegen? Kommst du hier arglos an und möchtest eintreten? Dass sie solche Spielart behände, gleich an mehreren Toren, teilweise kurz hintereinander, herunterfallen lassen könnten, ist selbstredend. Das ist ja ein Burgenkonzept und die sollen abschrecken. Verstehe ich! – Angreifende Feinde lassen sich so, in kleinere Gruppen gezwängt, leichter besiegen. Ergänzend, gibt es in den abgeschotteten Torgängen, eiserne Deckengitter mit spitz-zulaufenden Zinken, die man via Hebeleffekt herunterschwingen kann und seine bezwungenen Feinde damit genüsslich platt drücken, genauer gesagt, zuvor noch verwegen aufspießen. – Die aufwendig gestaltete Märchenburg thront auf einem ganz eigenen Gipfel. Ins Gestein geschmiegt, als habe man den zugehörigen Berg passgerecht zurechtgestutzt? Als wäre die Konstruktion erst einmal nur in Holz geschnitzt gewesen und dann generierte man daraus die Echtfassung in Stein? – Der Gipfel besteht aus einem steil abfallenden, völlig frei stehenden Felsgiganten, wo ansonsten allesamt dicht bewaldet und grün zugewachsen ist und eher flacher abfällt, dass das Vieh den Sommer oben verbringen kann, ohne Gefahr zu laufen, versehentlich von gefährlich schroffen Felsen abzustürzen? – Das Konstrukt des Burgfelsens ist hingegen, so gesehen, nur ein höherer Hügel, aber erstaunlich unwegsam? Und ausschließlich vom Nachbarhügel über den Brückenlauf erreichbar. Der jedoch, trotz aller Schikanen, keinesfalls uneinnehmbar wirkt. Eher doch nach Spieltrieb schreit. Wie von Kinderhand konstruiert. – Da das Ganze aber mystisch in einer Schattenebene ruht, kannst du sie doch nur so betreten, indes du diesen, gut zu bewachenden, Lauf überquerst. – Aber, wir – Nasire und ich – sind Tote und gewiefte Nebelgeister. Wir, diese megagewitzten, rotznäsigen Arbres d‘Ombrage, können über den ebenen Wüstensand, ganz direkt und geradeaus, in sie eindringen! So einfach, als wäre eine tatsächlich hocherhobene Wolkenstadt, aus anderem Blickwinkel betrachtet, doch nur nüchtern-sachlich am Boden verankert? Nur, mittels angewandter Fantasie, wirklich hoch obenliegend? Was umgekehrt genauso gilt. Also, nicht nur so rum, wie wir es drehen, sondern genauso andersherum. Wir pokern mit Fantasie und physikalischen Winkeln und werden dabei beobachtet … ich spüre sie mehr, als dass ich sie sehe. Die riesenhaften, stillen Wächter Shijtarrheims, in meinem Rücken. Wie erwähnt: Bärbeißige Burschen, die wilder gar nicht wirken könnten. So verwegen in ihrem Außenbild, dass man ihnen, schon rein äußerlich, zugestehen möchte, ganz allein solche Wandelburg bezwingen zu können. Was wahrscheins nur tumber, gedanklicher Schwachsinn ist! – Aber, wer sie noch nie gesehen hat, kann sie auch gar nicht richtig begreifen. So, beeindruckend! Fantastisch und heldengemäß, wie ich mir alles, was ich mir aus Lokis Umfeld vorstelle, ausmale? In dem Punkt bleibe ich wohl für ewig »Der kleine Flaubert, dessen Eifer sich wieder einmal heftigst überschlägt!« – Wie meine selige Mutter es auszudrücken pflegte, hatte ich soeben neues Schriftgut ergattert und kaum überflogen, musste ich bereits zum nächsten Händler weiter stürmen, der ja genauso köstliches Manna für meine kindliche Seele im Angebot halten musste? – Ich war niemals zufriedenzustellen, fand nie wirklich Ruhe, was das Thema Forschung anbetraf. Egal, in welchem Aspekt. Ich musste weiter und weiterlaufen können, nur das stellte mich je wirklich zufrieden, hielt mich bei Laune.

Schon irre witzig! Wie man komplizierte Konstruktionen rein dadurch manipuliert, indes man ihre Macht ignoriert? – Ha! – Wir planen somit gar nichts sonderlich kompliziertes. Benötigen auch keinen versierten Schützen, der uns ein Kletterseil zu den Zinnen mit einer Armbrust hochschießt, wo wir beschwerlich hochkraxeln müssten, nein! Wir laufen bequemen Weges geradeaus durch die Mauern und sobald wir überzeugt sind, uns innerhalb der Gewandung zu befinden, stellen wir uns passende Steinmauern vor und schon müssten sie vor uns auftauchen! Und wir entsprechend an Höhenmetern dazugewonnen haben und der Rest sollte sich praktischerweise von allein ergeben. Wir schleichen uns als offiziell eingesperrte Diener, mit gesenktem Blick, untertänigst devot allen Bewohnern gegenüber, stets hilfsbereit, von Raum zu Raum, durch Treppenhäuser von unten nach oben. Und legen fleißig die Erinnerung an alles Gesehene in unseren Köpfen ab. – Was mich interessiert? Wie sie tatsächlich leben. Aus meinen Augen betrachtet. Kleidung, Waffen sowie Esskultur. Was, wie geregelt ist? Ihre Speiseräume? Wie sind die eingerichtet? Wie ihre Küchen bestückt? Wie erteilen sie Befehle an die Diener? Wie behandeln sie uns, sind sie zufrieden oder sind sie es nicht? Existiert Vorsorge? Wundbehandlung? Wie sieht man Schwäche? Bei Gowinnyjen? – Salim schweigt sich in allen diesen Punkten aus … verrät mir nicht einmal, was sie essen und, wie sie es tun. – Mein Fragenkatalog ist somit übervoll! – Sind sie vornehm oder bäuerlich schlicht gestrickt? Kennen sie Respekt untereinander? Duzen sie sich oder gebrauchen sie höflichere Attitüde für höherstehende Familienmitglieder? Wie sieht ihre Speisekammer aus? Nutzen sie rein typisches, menschliches Wissen, Speisen frisch zu halten oder setzen sie hier Magie ein? Wie zanken sie sich? Wie heftig werden sie? Wie lieben sie sich? Körperlich? Sonstiges? Setzen sie Sexualität und Befruchtung gleich oder unterscheiden sie? – Denn das tun die El-Bachirs, soweit ich es wissen darf. Liebe ist ein Ausdruck, der bei ihnen nur für gleichgeschlechtliche Beziehungen gilt, Zeugung der Begriff, der mit Sex, mit Frauen verbunden wird und wenig mit Zärtlichkeit und liebevoller Handlung zu tun hat. Außer, selbiger Düsterwind ist mein Schwiegersohn. Dann sieht das gleich völlig anders aus! Dann sind sie, lässt die Landschaft es zu, durchaus in der Lage, Blumensträuße zu binden und Geschenke heimwärts zu tragen! Sie können gemeinsam mit ihrer heiß umschwärmten Signora tanzen. Lieder singen. Kochen. Und sogar bedienen! – Ein völlig atypisches Verhalten gegenüber sonst. Und wahrscheinlich ausschließlich für meine Tochter inszeniert. Anderes dürfte sie vor ihren Brüdern denunzieren. Was einem Düsterwind sicherlich so leicht nicht passiert … aber für Mylords Töchter kann man sich nötigenfalls Wände hochschwingen und an der Decke entlanglaufen! Keine Frage. Sie sind Bären. Dickköpfe vom Feinsten und was die sich erst einmal einbilden, schaffen zu müssen, das gelingt.
©Xena Falkenbourg xfwerk fürth. Alle Rechte vorbehalten.