Vom fahlgelben Fauvel, der König werden wollte
Flaubert deBougys Lieblings-Mär aus »Zwischen Wandelwelten«
Es begab sich zu einer Zeit, als Träume noch geboren wurden, dass in einem fernen Land, in einem einfachen Stall, ein außergewöhnliches Fohlen geboren wurde. Es war fahlgelb, gleich einer edlen Katzenrasse aus dem Osten. Eine solche Farbe – wie kam die nach hierher? Fauvels Mutter war schon eine wundersame Schecke, mit prachtvollen Kuhflecken bedeckt an Rücken und Halse und ihre Beine waren kastanienbraun abgesetzt, so wunderschön, dass es in der Sonne schimmerte. Das weiße Fell aber war sehr viel weicher und dichter, als es bei Pferden üblich ist und wuchs deutlich länger als das rotbraune daneben und schon darum war ihr Besitzer so gespannt auf das Füllen, das bald geboren werden würde. Er hatte mit viel Aufwand einen Rappen von weit hergeholt, einen Schimmel mit eben solchem dichten weißen Fell, wie es bei jungen Schafen mitunter vorkommt. Aber wieder verloren geht; sie werden schließlich geschoren, weil man daraus warme Wolle spinnt und die benötigt man im kalten Winter, dass die Frauen und Kinder nicht frieren müssen. Dieser Bauer hatte es mithilfe seines Herrn tatsächlich geschafft, einen Schimmel weit im Osten zu entdecken, der eben solches Fell am Rücken und am Halse aufwies. Der Fürst war ein gütiger Mann, der sich seinem getreuen Diener nicht in den Weg stellen wollte. Und auch keinen weisen Mann in seinen Stallungen suchen ging, die außergewöhnliche Stute zu umsorgen, denn sie gehörte ihm, dem erlauchten Herrn, denn der Bauer war kein freier Mann. Auch wenn sein Herr ihm oft dieses Gefühl zusprach. Und schon deshalb, weil sowieso alles drumherum so besonders war, feierten sie ein großes Fest, als es endlich so weit war. Die Leute kamen von nah und fern, der Geburt des außergewöhnlichen Füllens beizuwohnen und man fabulierte viel, dachte sich die verrücktesten Gründe dafür aus, warum diese Tiere ein solches Fell aufwiesen und was wohl mit dem Füllen sein würde? Sie spekulierten, ob bei diesen ungewöhnlichen Elterntieren nicht am Ende ein Schaf mit Pferdebeinen geboren werden würde? Oh, sie schlossen hohe Wetten ab und liefen aufgeregt zwischen Haus und Stall hin und her und am Ende, weil das ziemlich nervig war, richteten sie ihr Festmahl direkt im Pferdestall aus. Und da sich das hinzog, über ganze zwei Wochen hinweg, war sogar der König mit seinem Hofgestade angereist. Denn wo auf der Welt gibt es sonst noch Schafe im Pferdekörper? Und er hatte einen Berater mitgebracht, natürlich, er war der König und von solchem Manne erwartete jeder, dass er sich für Besonderheit interessiere und überlegen wolle, wie man noch mehr außergewöhnliche Pferde züchten könne? Es war so viel Gold und Silber und Geschmeide, mit glitzernden Edelsteinen zu sehen und seidene Stoffe aus dem fernen China. Samt und edelster Brokat von den Hofdamen bestickt, dass die Augen der einfachen Leute im Dorf und selbst die des gütigen Fürsten richtiggehend feucht wurden. Alle bemühten sich sehr, die hohen Herrschaften würdig zu umsorgen. Überall roch es nach Köstlichkeiten, wie es ein einfacher Bauernhof mitsamt seinen Tieren im Stall sonst niemals erleben darf und schon deshalb glaubten selbst die Tiere vor Ort, ein Königssohn würde unter ihnen geboren werden. Nicht bloß ein Schaf mit Pferdekopf und langen Beinen!
Dem vormaligen Pferdestall, nun zum königlich-feudalen Festgelage umdekoriert, mangelte es an nichts; ein ausschweifendes Unterhaltungsprogramm wurde aufgeboten. Transparent bekleidete Tänzerinnen, Narren und Barden vertrieben ihnen die Wartezeit; leichte Mädchen und Knaben wurden durchgereicht; ihr König lagerte im schlichten Stroh! Das war außergewöhnlich; normal hätte man die Stute in den Palast gebracht? Hier nicht – wie schon der Landesfürst den Leibeigenen ehrte, ihm Knechte, Mägde, einen kleinen Hof zuwies, vermutete auch der König, dass dies Wunder mit dem Bauern selbst zusammenhinge; es wurde reichlich spekuliert. Und damit verpassten sie den goldenen Moment, lagen im Tiefschlaf, und die Bauersleut brachten das Fohlen allein zur Welt. Es war nicht schneeweiß wie erhofft, sondern fahlgelb, aber samtweich und sie herzten ihn glücklich, nur die Stute wich irritiert zurück. Doch die Bäuerin überredete sie, also leckte sie ihn sauber, hob ihn auf die dürren Beinchen an und kaum begriff Fauvel, dass er stehen kann, rannte er schon übermütig aus dem Stall und im Außengehege am Zaun entlang. Und eine um die andere Runde, wie es noch keiner jemals von einem Neugeborenen sah; sie wurden immer stiller, dass am Ende nur noch das Trappeln der kleinen Füße zu hören war. Langsam wurden alle wach, aber keiner versorgte sie oder die anderen Tiere? Sie bewunderten den jungen Fauvel, wie er Runde um Runde die Freiheit und das Leben begrüßte – als wäre ein alter Geist erwacht? Dann endlich nimmt Fauvel sie wahr, ihre Gewänder? Glanz und Prunk wie eine Fata Morgana, Legendenwerk; Spukgestalten? Fauvel, mit seltener Weisheit geboren, begreift, wie vielschichtig Leben sein kann und dass nur derjenige, der sich traut, zu den Sternen zu greifen, sie auch zu fassen bekommen kann. Und er beschließt in diesem ersten lichten Moment seines Lebens, nichts unversucht zu lassen, um eines Tages selbst König zu werden. Er schließt infolge keine Freundschaften mit anderen Tieren, interessiert sich nur für die Menschen; sieht ihnen neugierig bei der Arbeit zu. Und sinniert darüber, wie er mit seinen finger- und handlosen Armen die Körner im Eimer greifen könne, die Gänse, Enten und Hühner am Hof zu füttern? Er fragt sich, wie er einen Löffel halten könne, vornehm zum Munde führen? Gedanklich sitzt er bei ihnen am Tisch, nur dass die Decke weitaus höher hängt als sonst in Bauernhäusern üblich. In seinen Gedanken läuft er aufrecht wie sie auf seinen Hinterbeinen, muss nur im Bereich von Durchgängen auf allen Vieren durchkriechen, denn die Zugänge im Hause bleiben in seinen Träumen niedrig, wenngleich sich sonst alles an seine Bedürfnisse anpasst. Er schläft in einem Bett, nicht auf dem Rücken, Iwo, er schläft auf der Seite, auf einem erhöhten, frei stehenden breiten Bette, wie man es in Palästen kennt, aber nicht auf einem Bauernhof? Fauvel weiß es einfach, dass es sie gibt, dort, wohin er strebt. Er will ihr aller König werden, Kuchen vom Teller essen wie sie. Er sieht, wie sie ihm eine Serviette am Halse befestigen, wie sie ihm sein Maul sorgsam abtupfen – kann er doch nicht so ordentlich mit geschlossener Schnauze kauen wie sie. Die Krone klemmt zwischen seinen spitzen, fahlgelben Ohren, er wiehert nicht wie ein Pferd, nein, er spricht mit gebildeter Stimme wie ein vornehmer Herr am französischen Hof. Er kennt die Etikette, hat den Menschen längst bis in die tiefsten Tiefen studiert, weiß, wann ein Weibchen hofiert werden sollte und wann besser ignoriert, weil sie sonst die Herrschaft übernimmt.
Regelmäßige Überflutungen drangsalieren ihre Küstenlande, insbesondere den Hof des Leibeigenen, was Fauvels Wille, seine Situation zu verändern, wohl bestärkt. Pferde werden immerzu als Letztes aus dem Wasser gezogen, weil sie ebendieses am besten verknusen; aber Fauvel hasst es. Er wird anfänglich wie ein Prinz begrüßt, aber seine wollige Erscheinung in fahlgelb kühlt rasch die Gemüter runter. Ihr Edelpferd wird sogar zum Ärgernis erklärt, weil er immerzu die Menschen beobachtet und sich in keiner Form für das Leben als Pferd interessiert. Ihn erziehen zu wollen, geben sie zügig auf, schon mehr als genug Zeit hat man in ihn investiert und für nichts! Aber dem König will man nicht sagen müssen, man musste den Sturschädel unmäßig züchtigen, ganz ohne Resultat? Nicht einmal die Esel im Stall verstehen seine Starrköpfigkeit und dann geschieht, was geschehen muss. Die nächste Sturmflut bricht mit aller Heftigkeit herein und überschwemmt das gesamte umliegende Land und bis seine Herrschaft Zeit für die Pferde findet, ist er längst verschwunden. Er macht sich auf den beschwerlichen Weg, das Schloss des Königs zu suchen. Er kann zwar nicht nachfragen, wo es liegt, da die Menschen in ihm nur ein bloßes Pferd erkennen und seinen wollenen Rücken und ebensolchen Hals in fahlgelb komplett übersehen. Auch merken sie nicht, dass er flinker laufen kann als alle anderen Hufträger? Nein, keiner sieht, dass er ein gebildetes Wesen ist, das Menschen versteht. Also überlegt er, wie er beweisen könnte, ebenso klug zu sein? Jahrelang fragt er sich, wozu Gelehrte durchsichtige Scheiben benutzen, die sie an langen Lederbändeln um den Hals tragen und wie andere mit ebensolcher Scheibe Feuer machen, dass es warm werde oder rein zum Kochen? Was könnte er mit solcher Scheibe anstellen, das ihm Vorteile einbrächte? Durch die hohe Flut watend, entdeckt er ebensolches Ding, an seiner Lederschnur im Unterholz verfangen. Vom Besitzer keine Spur, der es wohl locker umhängen hatte, als er in die Fluten stürzte? Folglich tut er ihm gleich; das Band hat sich durch die lange Zeit im Wasser angenehm geweitet. Rasch weiß er, mit diesem Wunderding sehr weit zu sehen und auch geschickt Feuer zu machen, indem er es in den Sonnenstrahl hält. Er muss nur rechtzeitig genug, bevor die Sonne tiefer sinkt, sein trockenes Feuerholz zusammenhaben. Allerdings hapert es etwas mit der Handhabung, ihm fehlen einmal mehr die geschickten Finger und Hände des Menschen; er benötigt somit einen ihm wohlgesonnenen Schmied, ihm eine bequeme Halterung anzufertigen, eine, die dieses Ding an seinen langen Beinen befestigen lässt, dass er es mit dem anderen Huf aufklappen und lockern kann und entsprechend justieren? Und hernach muss er sein Bein nur hoch genug abstützen, dass das andere frei beweglich bleibt? Auf einem umgefallenen Baumstamm, Stein oder einer natürlichen Anhebung, dass er entweder in die Ferne schauen kann und sein gesuchtes Schloss entdecken oder einen Haufen trockener Äste mittels Sonnenstrahlen entzünden, falls die Nächte zu ungemütlich kalt werden? Und just stolpert er über einen jungen Schmied und der kommt sogar gerne mit ihm, denn die Menschen mögen ihn nicht, obschon er geschickte Hände hat. Aber er spricht undeutlich, sein Gesicht ist entstellt, er besitzt nur ein gesundes Ohr; gegenüber, ist nur ein Loch, aber damit hört er nichts und sein Auge dort sitzt tiefer, ist absurd rundlich und übergroß; Mund und Nase sind zudem schräg verzerrt. Man bewertet ihn als verflucht, das hört Fauvel sie sagen und das behaupteten sie auch von ihm, also küsst er den netten jungen Mann spontan und der freut sich so darüber, dass er direkt mit ihm kommen möchte. Zuvor konzipiert er geschickt die benötigte Halterung; Fauvel muss auch gar nicht viel fabulieren, wird von ihm spornstreichs verstanden. Ergo, nennt er ihn Angel, hängt an »Ange« ein »L« an, wie sie es bei seinem Namen taten. »Fauve« nennen sie wilde Katzen, als solche sie ihn im Anfang betrachteten; »Ange« bedeutet Engel, wundersame Wesen, die viel Gutes tun; genau solchen benötigt Fauvel an seiner Seite. Sie werden ein prachtvolles Paar und die Menschen schauen fortan fasziniert hin, wenn sie ihre Ansiedlungen betreten und Angel seine Schmiedearbeiten vorstreckt. Ein Kurzschwert, eine prachtvolle Arbeit, die er ebenso wie die Halterung unter Fauvels Anleitung schmiedet. Fauvel sah von fern, wie der Meister seinen Lehrling übelst schlug und kurz darauf von der Klippe in die raue See stürzte. Gerechtigkeit, dachte Fauvel, schwer erzürnt. Damit können sie hernach alles anfertigen, was sie für die Reise benötigen; zudem Tauschartikel, sollten sie hungrig werden. Fauvel durchdenkt alles weise und es klappt wunderbar. Keiner verfolgt seinen Freund oder vermisst ihn, wie auch Fauvel niemals gesucht wird. Und schließlich treffen sie auf die Dame Fortune, eine zauberhafte Person, die die Gabe besitzt, alles so erscheinen zu lassen, wie der Mensch es zu sehen wünscht und Fauvel steigt zum kühnen Herrscher auf und Angel zu seinem Vogt und Fortune wird ihre Königin.