Projekt ∗ Sommernachtstraum 1978 ∗
Theaterkultur im Sofienpavillon
Eine musikalische Interpretation für Pferdefreunde
Auszug aus »Schröderbergs Prinzen«
Regie|Buch|Inszenierung: Mikosch & Wigge | Choreografie: Solta Mayer | Debütanten: Huf & Pfote, Wigbert Garner (Poor Jim), Mikosch Bernbaas (Greeneye Jake), Maja Fröhlicher (Sunny Mary), Tinne Fellkamm (Doc), Römer (Stuff Corlington), Jusches Band (Statisten & Musikalische Begleitung: Jusches Eigenkompositionen, freie Interpretationen von Dick Dales »Riders in the Sky« (1963))
Poor Jim, ein Rancher mit Pferdezucht aus dem mittleren Westen. Ein hart arbeitender Selfmademan. Wigge spielt einen einsamen, sich noch jung fühlenden Mann mittleren Alters, der im Laufe des Lebens viele herbe Enttäuschungen erleben musste und deshalb vorsorglich alleine blieb. Er liebt seine Pferde auf der Weide, verbringt seine Tage damit sie zuzureiten, zu trainieren und ihnen liebend gerne auch ein paar Kunststücke beizubringen. Damit verdient er letztlich den Hauptteil seines Geldes. Also, nicht alleine damit, gute Pferde zu züchten, sondern Reitpferde auszubilden, die auch weniger begabte Reiter ordnungsgemäß von A nach B transportieren können. Seine Pferde stehen also, nur selten in Ställen, wo du dir dein Pferd leihst, um weiterzuziehen, um es an nächster Stelle gegen ein frischeres einzutauschen. Nein. Seine Pferde schließt man ins Herz, nimmt sie in der Familie auf und behält sie bei sich, wenn geht, ein Leben lang. Man behandelt sie wie einen guten Freund. Er hat viele treue Kunden, die schon lange alleinig seinetwegen quer durchs ganze Land reisen, um am jeweiligen großen Jahres-Pferdemarkt bei ihm einzukaufen. Seine Pferde werden auch gerne zur Weiterzucht genutzt. Somit kennt ihn ein jeder am Weg – in den Städten und genauso auf den Farmen – zum Pferdemarkt hin. Er ist überall willkommen. Und doch konnte er niemals eine Frau für sich finden, die bereit wäre, soweit draußen in der Einsamkeit ein Leben mit ihm zu verbringen. Denn reich ist er nicht. Er hält ein paar Tiere am Hof, rein um sich selbst versorgen zu können, um unabhängig zu bleiben. Die Indianergebiete liegen nicht weit entfernt und zum Einkaufen gehen, bedeutet seine Pferde wie auch die anderen Tiere ungeschützt zurückzulassen. Was für ihn schon immer ein elementares Problem stellt und deshalb nimmt er immer mal wieder einen Burschen mit sich, der ihm dabei hilft. Aber eines Tages finden diese Jungs neue Freunde und bessere Bezahlung oder jemand findet Gold und er verliert ein ums andere Mal seine Gefährten. Eines Tages reist er durch eine Stadt, in der ein Junge hinter dem Saloon herumlungert und dafür gerade mächtig ausgeschimpft wird, als er vorbeikommt. Poor Jim schließt ihn sofort in sein butterweiches Herz, wie alles Wehrlose in der Welt. Für ihn ist er ein armer Junge, der, falls das überhaupt stimmt, sich nur gezwungen sah zu stehlen, weil er schrecklichen Hunger hatte und ihm keiner freiwillig etwas abgeben wollte. Er beschützt ihn vor der schimpfenden Meute, erklärt ihn als fortan zu ihm gehörig und nimmt ihn mit sich zum Pferdemarkt. Dort erkennt er schnell die besondere Begabung des Jungen – gleich seiner eigenen –, mit Pferden einvernehmlich sprechen zu können. Also direkt in ihre spitzen Ohren zu flüstern und akkurat und konkret verstanden zu werden. Womit er sie überzeugen kann, dass es gut für sie ist, mitzuspielen. Dann wird er für sie einen guten Platz im Leben suchen. Ein versierter Pferdeflüsterer wie Poor Jim selbst, welch großes Glück. Deshalb ist es fortan nochmals wichtiger, sie gut unterzubringen. Denn sie haben es nun beiderseitig fest versprochen. Ja, Pferde waren seit jeher seine Freunde. Wenn am Pferdemarkt ein alter Kunde mit einem seiner Pferde einläuft, begrüßt er diesen erfreut, aber noch leidenschaftlicher begrüßt er dessen Pferd und das Pferd ihn. Auf dem Weg zum Pferdemarkt erklärt er Greeneye Jake seine Welt.
Die Inszenierung des Musicals in fünf Teilen. Der erste Teil endet spät in der Nacht, den Projekttitel Sommernachtstraum unterstreichend, um am anderen Morgen nach zünftigem Brunch auf der Terrasse des Schlossrestaurants Wolfsburg weiterzulaufen. Hier präsentieren sich bekannte Bühnenstars aus Jusches Band als Pferdekäufer und Bekannte von Poor Jim. Am Vorabend hatten Jusches Freunde zumeist Feierabend und durften eigens unter den Zuschauern logieren, will heißen sich königlich amüsieren wie alle anderen; indessen heißt es aber für den geschlossenen Kreis aller Band-Mitglieder fleißig am Frohsinn der Choreografie teilzuhaben. Mikosch spielt die Rolle des jungen Greeneye Jake wunderbar. Stefan verbrät reichlich trockene Taschentücher, sich seine Freudentränen immer wieder diskret von den Wangen zu tupfen. Schon bei Maja Fröhlichers Auftritt als Janet Weiss war er deutlich rührselig unterwegs. Sie erkennen alle, wie gefühlsduselig er gestimmt ist. So butterweich wie Poor Jim – keiner benötigt einen konkreteren Fingerzeig. Wie sehr er sich alleweil über die Rückkunft Susa-Gelja Sandkorn-Kusminowas freut, für Mathias genauso wie für sich selbst. Susa haben im Park wahrlich viele tief ins Herz geschlossen. Sie offen auf der Bühne tanzen und singen zu sehen und ihren begeisterten Vater-Bruder Sergeij dazu Beifall klatschen, lässt so einige im Umfeld rührselig aussehen.
Teil zwei erzählt von der Rückkunft Poor Jims und Greeneye Jakes auf der Ranch, die sich natürlich nicht anders als »Bonanza« nennt – der gesamte Park ist mittlerweile Nostalgie-infiziert. Hier beginnt Greeneye Jake sofort, die Tiere zu seinen Freunden zu erklären, mit ihnen genauso direkt zu sprechen wie mit den Pferden und Poor Jim ist nochmals mehr glücklich darum. Im Hintergrund der Ranch sieht man immer wieder Indianerhorden vorbeistoben und gelegentlich auch ein paar Pferde von Poor Jim rauben. Was er Greeneye Jake gegenüber als »untragisch« bewertet. Dafür lassen sie ihn ansonsten in Frieden werkeln und er sie im Gegenzug ebenso. Aber wenn sie ein gutes Pferd benötigen, kommen sie halt auch mal eben vorbei. Oft bringen sie später Fleisch oder Tierhäute und das kann er immerzu gut gebrauchen.
Nach der Mittagspause zieht Poor Jim erneut los – in Teil drei – den Pferdemarkt aufzusuchen. Auf dem Weg findet er eine von Indianern auf dem Kriegspfad überfallene Kutsche. Überall sind tote Indianer zu sehen und genauso tote Westmänner, aber in der Kutsche findet er eine junge verletzte Frau. Maja Fröhlicher als Sunny Mary. Sie lebt; gerade noch so. Poor Jim versorgt sie notdürftig, steigt mit ihr zusammen aufs Pferd und reitet los, den nächsten, ihm bekannten Arzt aufzusuchen. Dieser Arzt wird von Tinne Fellkamm gespielt – wunderbar! Poor Jims Herde folgt genauso treu wie seine klugen Hunde, die seit jeher seine Treiber und Wächter spielen, ohne Kommandos zu benötigen. Greeneye Jakes besondere Tricks werden sichtbar, die nicht nur die Pferde seit Neuestem beherrschen, sondern seine Hunde haben nochmals mehr dazugelernt. Alle sorgen vor, dass der Doktor schon bereitsteht, als Poor Jim mit seiner verletzten Sunny Mary einläuft. Er überlässt seinem Freund namens Doc die Pflege des Mädchens, in das er sich längstens verliebt hat, und zieht weiter zum Pferdemarkt. Den darf er keinesfalls verpassen; das Geld benötigt er dringend. Jetzt nochmals mehr, denn der Arzt und die Medizin kosten viel Geld, das er erst noch verdienen muss. Das Mädchen selbst führt nichts bei sich; die Kutsche wurde restlos ausgeraubt, das sterbende Mädchen hilflos zurückgelassen.
Als er endlich zu seinem Freund Doc zurückkehren kann, geht es Sunny Mary so weit wieder gut. Sie lacht ihn leutselig an, mag ihn genauso sofort wie umgekehrt und bedankt sich herzlich für seine Hilfe und auch für sein gutes Geld, seine Großmut, ihr selbstlos zu helfen. Sie schlägt ihm vor, sie zu ihrem Bräutigam zu begleiten. Ein wohlhabender Mann, der ihm seine Auslagen ersetzen kann und auch seine Mühen belohnen. Das lehnt Poor Jim traurig ab, er hat sich schließlich hoffnungslos verliebt, akzeptiert aber, dass das Leben seine ehernen Regeln hat und man die beachten muss. Er verspricht Sunny Mary, sie zu ihrem Bräutigam zu bringen, damit ihr nicht nochmals etwas Schlimmes zustößt.
Teil vier erzählt von einem echt üblen Kerl namens Stuff Corlington (brillant finster gespielt von Römer), dem Bräutigam. Der sich direkt weigert, irgendetwas zu bezahlen, seine Braut aber dafür sofort ins nächste Bett zerren will. Poor Jim wirft sich entsetzt, heldenhaft dazwischen, obschon er so viel kleiner ist als der riesenhaft grobschlächtige Kerl. Er besteht vehement auf einen Priester, der die Ehe zuvor vollzieht, ansonsten könne er solches Verhalten niemals zulassen. Aber er wird nur schmählich verspottet und lauthals ausgelacht, seine Hunde brutalst weggetreten und nochmals spöttischer mit schweren Steinen beworfen, weil sie ihm helfen wollen. Ein Jammerspiel – sie jaulen und wehklagen, tragen schlimmste Verletzungen, wollen aber nicht aufgeben, ihrem Freund zu helfen. Als die Banditen ihre Revolver gegen die Hunde ziehen, winkt Poor Jim seine Hunde zurück und tritt alleine gegen sie an. Infolge schlagen sie ihn halb tot. Sunny Mary versucht die Männer von Poor Jim wegzulocken, indem sie flieht, was ihr sogleich gelingt. Damit überlebt er und Freunde aus der Stadt bringen ihn schnell in einem Pferdestall in Sicherheit. Während Poor Jims Hunde den Männern nachschleichen, die dem Mädchen nachjagen. Am Ende trickst Sunny Mary sie geschickt mittels der klugen und treuherzigen Hunde aus, die sie alsdenn unbemerkt zu Poor Jim ins Versteck im dunklen Pferdestall führen.
Am Abend präsentiert sich Teil fünf als Schlussakt. Wie Sunny Mary den verletzten Poor Jim nach Hause bringt. Ihn dort gemeinsam mit Greeneye Jake versorgt und wieder gesundpflegt. Wie Poor Jim überglücklich ist, seine Sunny Mary nun sicher bei sich zu wissen und wie sie miteinander einen Namen für ihr erstes Kind ausdenken. Und wie Greeneye Jake sie überglücklich lächelnd daran gemahnt, dass man doch zuerst einen Pfarrer aufsuchen müsse. Poor Jim erklärt: „Ich habe da einen Freund, ganz in der Nähe, den könnten wir mal eben fragen gehen …“ – Ein Text, der sich im Musical gleich einem Refrain beständig wiederholt und schon ab Teil Eins vom Publikum leutselig lauthals mitgeträllert wird. Im Hintergrund läuft beständig auf Gitarren oder alternativen Instrumenten gespielt der Song Riders in the Sky von Dick Dale aus dem Jahr 1963 in zahllosen Neuinterpretationen eingebaut. Zu dem Wigbert, Maja, Mikosch, Jusches Bandmitglieder, Römer von den PSiPs und ihr Doktor aus dem MedFZ-Bruchgraben und Tinne Fellkamm ihre frechen Jusche-Texte singen, die von Wigge und Mikosch, dem beliebten Bonanza-Style, angepasst wurden. Das Besondere an diesem letzten Teil am späten Sonntagabend, 02.07.1978, ist ein Bonanza-Fahrrad, das urplötzlich auf der Bühne auftaucht. Gerade als der Freund Poor Jims diesen auf den Wagen legen möchte und Sunny Mary erklären will, woran sie sich orientieren kann, um die Farm auch sicher zu finden und sie lachend erklärt, „falls ich etwas falsch machen sollte, bin ich mir sicher, werden sofort die Hunde meutern und die Pferde nochmals mehr. Mache dir keine Sorgen! Poor Jim findet wieder nach Hause zurück. Dafür sorge ich und er wird auch wieder ganz gesund werden und beim nächsten Pferdemarkt erzählt er dir, wie genau es weiterging. Also, der Teil, der dich besonders interessieren dürfte …“ – Sie zwinkert ihm fröhlich zu und schnalzt mit der Zunge, das Zeichen zum Abflug für die Vierbeiner, als das Fahrrad sich urplötzlich hinten mit dranhängt. Und das Publikum sofort begeistert darauf reagiert und losjohlt: „Dieser Scherz riecht voll nach Mikosch! Wie konnte er Wigge nur davon überzeugen, das Ende urplötzlich in eine Slapstick-Komödie überlaufen zu lassen?“ – Und genau das wird dieser fünfte Teil; nur, falls jemand zuvor befürchtet haben sollte, es könne zu tränenrührig oder gar noch kitschig auslaufen? Keine Bange, alles bestens und gerettet! Tränen fließen in Strömen, aber nicht wegen peinlich klebriger Romantik, sondern rein im Hinblick auf haltlose Erheiterung. Mikosch probiert immer wieder verstohlen – minimal verdeckt, er gehört schließlich zum jeweiligen Zeitpunkt nicht in die Szene – das lästige Ding von der Bühne herunterzuzerren. Aber das lässt es partout nicht zu! Es lässt sich von Wigge schlicht nicht mehr abtrennen, an dem es ab dato praktisch wie angetackert festklebt.